„Verluste, aber Aussicht auf Erholung“
Ökonom Oliver Fritz vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) mit einer ersten wirtschaftswissenschaftlichen Lagebeurteilung für die Tourismuswirtschaft angesichts der Corona-Krise.
Die Tourismus-Analyse von Oliver Fritz
Der Tourismus zählt zu den von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Wirtschaftsbereichen, da der Schock sowohl die Nachfrageseite (Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Grenzschließungen, Angst der Gäste vor Ansteckungen) als auch die Angebotsseite (Schließung aller heimischen Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben sowie von Freizeiteinrichtungen, die auch touristisch genutzt werden) betrifft.
Die Tourismuswirtschaft erreichte 2018 in Österreich einen Anteil von über 8% des BIP (direkte Effekte sowie Lieferverflechtungen), wobei sich die wirtschaftliche Bedeutung auch regional und lokal stark unterscheidet – manche Regionen, vor allem im alpinen Raum, sind sehr stark von der Erbringung touristischer Dienstleistungen abhängig.
„Beträchtliche Verluste, aber auch Aussicht auf rasche Erholung“
Gleichzeitig zählte der Tourismus zu jenen Bereichen, die in den letzten Jahren hohe Wachstumsraten zu verzeichnen hatten. Er profitierte dabei von seiner Eigenschaft als „Luxusgut“. Steigende Einkommen und die Ausdehnung von Mittelschichten in Schwellen- und Entwicklungsländern haben die Nachfrage nach Urlaubsreisen überproportional steigen lassen. Die Globalisierung sorgte zudem auch für ein starkes Wachstum bei Geschäftsreisen. Zudem lässt sich beobachten (und das gibt Hoffnung auf eine schnelle Erholung der Tourismuskonjunktur nach Bewältigung der Corona-Krise), dass Touristinnen und Touristen bisher nach exogenen Schocks (etwa nach Terroranschlägen oder einer Verschlechterung der Sicherheitslage in bestimmten Ländern) relativ schnell ihr Verhalten vor Eintreten dieser Schocks wieder aufnahmen.
Aus derzeitiger Sicht kann man davon ausgehen, dass
- es, in Abhängigkeit von der Dauer der Betriebssperren und aller anderen Einschränkungen des täglichen Lebens, zu einer beträchtlichen Verringerung der Zahl der Nächtigungen und der touristischen Ausgaben in Österreich kommen wird; dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die aktuellen Beschränkungen auch den Tagestourismus treffen, der dadurch zum Erliegen kommt.
- nicht nur die Nachfrage nach Urlaubs- und Geschäftsreisen in Österreich beeinträchtigt wird, sondern auch die heimische Nachfrage nach Reisen ins Ausland, was den negativen BIP-Effekt dämpfen wird.
- sich nach einer ersten Schätzung die Nächtigungsverluste dabei jeden Monat, in dem die Betriebe geschlossen bleiben und die Nachfrage fast vollständig ausfällt, um rund 5 Prozentpunkte erhöhen: Von –12% der gesamten Nächtigungen 2020 bei einer Schließung von Mitte März bis Ende April bis auf –22%, wenn die Betriebe erst mit Juli wiedereröffnen könnten. Wären auch die Hauptsommermonate Juli und August betroffen, würden diese Ausfälle aber deutlich ansteigen.
- der heimische Tourismus aber auf eine sehr erfreuliche Wintersaison 2019/20 zurückblicken kann, auch unter Berücksichtigung der Ausfälle im März und April: Die Monate Dezember und Jänner, wahrscheinlich auch Februar, brachten eine deutliche Steigerung der Nächtigungszahlen.
- die Effekte auf den Tourismus regional unterschiedlich ausfallen werden: Zum einen sind die Bundesländer in unterschiedlichem Ausmaß von touristischen Aktivitäten abhängig (sektoraler Struktureffekt), zum anderen wird die Erholung nach Quellmärkten nicht gleichförmig erfolgen, so dass einige Bundesländer früher, einige später profitieren könnten.
- die angesprochene Erholung nach Wiedereröffnung der touristisch relevanten Bereiche aber relativ rasch voranschreiten könnte – der Wunsch nach Urlaubsreisen und Ausflügen ist nach wie vor stark vorhanden und nach Aufhebung der Einschränkung sozialer Kontakte und der Bewegungsfreiheit ist damit zu rechnen, dass diese Bedürfnisse sobald als möglich wieder ausgelebt werden wollen. Dazu kommt, dass, wie bereits angesprochen, in der Vergangenheit Touristinnen und Touristen relativ rasch ihr vergangenes Verhalten wieder aufgenommen und dramatische Ereignisse „vergessen“ haben.
In diesem Fall ist damit zu rechnen, dass sich der Inlandstourismus rascher erholen wird als die Nachfrage aus dem Ausland und sich die Nachfrage aus europäischen Quellmärkten wiederum früher beleben wird als die Nachfrage aus Fernmärkten. Dabei könnte es auch zu Substitutionseffekten zugunsten des heimischen Tourismus kommen, sollte die Infektionsausbreitung in Österreich rascher eingedämmt werden als in anderen europäischen Urlaubsländern (wie etwa Norditalien).
„Sinnstiftender Tourismus wird noch bedeutender sein“
Eine Einschätzung der Entwicklung der österreichischen Tourismuswirtschaft über die nächsten Monate hinweg ist jedoch mit großer Unsicherheit behaftet. Die Gründe dafür sind folgende:
- Es erscheint denkmöglich, dass die aktuell versäumte Unterrichtszeit in den österreichischen Schulen durch eine Verkürzung der Ferien im Juli 2020 nachgeholt werden muss.
- Die Krise wird die konjunkturelle Situation innerhalb und außerhalb Europas deutlich verschlechtern – steigende Arbeitslosigkeit und verringerte Einkommen werden vermutlich die Nachfrage nach Urlaubsreisen ebenso sinken lassen wie die Kompensation aktueller Produktionsausfälle nach Aufhebung der Corona-Maßnahmen.
- Auch nach Wiedereröffnung der österreichischen Tourismusbetriebe könnten Grenzschließungen und Reisebeschränkungen in anderen Ländern nach wie vor aufrecht sein, was die Nachfrage aus dem Ausland massiv dämpfen könnte.
- Die national, aber auch international geführte Diskussion über den „Corona-Hotspot“ Tirol könnte das Image von Österreichs wichtigstem Tourismusbundesland längerfristig beschädigt haben.
- Und nicht zuletzt ist derzeit kaum absehbar, bis wann die verordneten Betriebsschließungen wieder aufgehoben werden können.
Eine Erholung der Tourismuswirtschaft muss mit begleitenden Maßnahmen einhergehen, wobei vor allem gezielten Marketingaktivitäten nach Wiedereröffnung der Betriebe notwendig erscheinen, die bereits jetzt vorzubereiten sind. Noch stärker als vor der Krise ist dabei ein nachhaltiger und sinnstiftender Tourismus in den Vordergrund zu stellen, ist doch der „Ballermann-Tourismus“ durch die aktuellen Ereignisse noch deutlicher in Verruf geraten als schon zuvor.
Zur Person: Oliver Fritz
Oliver Fritz trat im Jahr 2001 in das WIFO ein und ist als Ökonom (Senior Economist) im Forschungsbereich „Strukturwandel und Regionalentwicklung“ tätig. Zudem fungiert er als Lektor an der Universität Wien sowie der Fachhochschule Burgenland und ist Affiliierter Professor am Regional Economics Applications Laboratory der University of Illinois, Urbana-Champaign (USA).